Biologismus trifft Religion – Meinungsmache gegen Selbstbestimmung

Eigentlich hat es mich gewundert, dass die Deutschen bisher so nett waren und nicht schon lange ihren Volkszorn gegen Lesben und Schwulen gerichtet haben. Klar, die meisten Menschen in diesen Land sind gesittet und Gewalt wird nicht gerne gesehen, seitdem unsere Großväter und Urgroßväter mal so die halbe Welt mit Krieg überzogen und im Handschlag mehrere Millionen Menschen umgebracht haben - darunter auch gezielt Schwule und bisexuelle Männer; Lesben und bisexuelle Frauen wurden zur “Umerziehung” den Männern überlassen. Die Zeit heilt manche Wunde, aber der Zorn auf die anderen ist noch da: die, die sich nicht anpassen wollen und ausscheren aus den Mainstream der Gesellschaft. Da offene Gewalt schlecht ist, hat sich eine neue Waffe im Kampf gegen schwer zu durchschauende Macht- und Gesellschaftsstrukturen oder gegen eine sich wandelnde Zeit, und jene, die anders sind als die anderen, durchgesetzt: die Petition. Petitionen sind ein gutes Instrument, in einem demokratischen System Gehör zu finden, aber sie kann auch missbraucht werden, um Meinungen und Ressentiments zu schüren, vor allen von einer Mehrheit gegen eine Minderheit. Der baden-württembergische Realschullehrer Gabriel Stängle hat in seiner Petition gegen die Akzeptanz Homosexueller die Angst vieler Menschen in Deutschland angesprochen.Eine unbestimmte Angst: Eine Gruppe Menschen, die nicht den gleichen Lebenswandel haben, könnten Privilegien eingeräumt werden, die dafür sorgen, dass der Lebenswandel, den diese Menschen führen, sich auf andere Mitmenschen ausbreiten könnte. Im schlimmsten Falle womöglich auf die eigenen Kinder oder Enkelkinder, wenn diese es näher erklärt bekommen. Liest man im Netz die Kommentare zum entsprechenden Thema, fällt auf, dass die Debatte von Gegnern oder jenen, die sagen: "Bis hier hin und nicht weiter!" dominiert wird. Die Gegner von Liberalität und Freiheit der Liebe führen die Debatte biologistisch und durch die Brille konservativer Argumente, abgerundet mit absurder Religiosität. So genau lässt sich nicht sagen, welches Argument aus welchem Lager ist - es ist eine bunte Mischung. Viele Argumente basieren darauf, dass die menschlichen Verhaltensweisen und gesellschaftlichen Zusammenhänge vordringlich durch biologische Gesetzmäßigkeiten zu erklären sind, und entsprechend sollten die gesellschaftlichen Verhältnisse angestrebt werden. Dies wiederholt sich auch ganz gerne und dann werden die Tora, Bibel oder Koran angerufen; man lässt den offensichtlichen Biologismus weg und ersetzt ihn durch Religiosität.

Die neueste fixe Idee ist die einer „Homolobby“, die ihre Macht auf die Gesellschaft immer weiter ausbreite und die Medien gleichschalte. Ziel sei es, dass Menschen, oft Männer, ihre Meinung ändern, ja womöglich sogar ihre eigene Sexualpräferenz überdenken. Der konservative Mensch hat dann ein Problem: dagegen zu sein ist nicht chic. Schnell wird man als homophob abgestempelt. Jedoch bleiben die Gedanken gleich: „Was die Schwulen da treiben, ist doch nicht natürlich, das steht in der Bibel, und im Bio-Unterricht habe ich das auch gelernt, immer Mann und Frau. Dann wollen die noch Kinder haben – adoptieren!“ Da steht dann auch schnell der nicht genannte Vorwurf der möglichen Pädophilie im Raum. Das Kopfkino ist da grenzenlos. Offiziell gesagt wird das nicht, aber gedacht und am Stammtisch zum besten gegeben. Den Debattenführenden geht es um ihre Sexualität und um den Schutz der Familie und der Kinder. Ein Mann und eine Frau, die sind privilegiert, Kinder zu zeugen – von Natur aus. Daraus leiten dann viele Menschen das Privileg ab, dass nur zweigeschlechtliche Paare, vielleicht eine einzelne Frau noch, Kinder groß ziehen dürfen – das ist ja so in der Biologie und auch in der Bibel oder im Koran.

Dass Religion zum Teil nichts anderes ist als das Wissen einer vergangenen Zeit und Kultur, auf die Idee kommen sie nicht. In der Bibel sind auch grundlegende Erkenntnisse der Biologie zu finden. Noah hat zum Beispiel immer ein Paar Tiere mitgenommen auf seine Arche, damit diese sich dann, wenn die Sintflut vorbei ist, paaren und die Welt neu bevölkern. Wer auch immer sich die Geschichte ausgedacht hat: toller Naturbeobachter! Heute wissen wir, dass das, was dabei rauskommt, Inzest ist und es zu schweren Erbkrankheiten kommen kann und / oder eine Population deshalb ausstirbt.

Die gleichen Leute, die übrigens ihren Biologismus bzw. Religiosität verkünden, sind häufig Gegner der Gendertheorie und des modernen Feminismus. Frauen kommen wenig vor in den Debatten, wenn es um Homosexualität geht. Lesben – die werden mitgenannt, aber eigentlich gehts doch nur um die Männer, oder vielleicht doch nicht? Ich glaube auch, dass niemand wirklich etwas gegen zwei Frauen für ein Kind hat; kompliziert wird es nur, wenn eine der Frauen vorher was mit einen Mann hatte, denn dann zerstört diese Frau ja auch die Familie. Wahrscheinlich auch nur aus egoistischen Gründen: Der Mann ist in diesem Denkmodell das Opfer, das Unterhalt zahlen darf. Das Patriarchat lässt grüßen.

Eine Frau ist dazu gemacht, Kinder zu bekommen und diese zu versorgen. Damit definiert die Biologie Weiblichkeit für viele Menschen, und sie bekommen Schützenhilfe von Naturkundlern, die ihre ersten Erfahrungen in Geschichten gepackt haben, die als Religionsbücher weltbekannt wurden. Will eine Frau keine Kinder haben, wird sie häufig schief angeschaut; dann ist die Rede davon, dass sie ja etwas verpasst oder dass ihr Kind ja das auserwählte Kind sein könnte, das das irdische Jammertal ändert. Die Norm ist, dass Frauen Kinder haben, auch in unserer Gesellschaft. Will man dies nicht, wird man anders behandelt, und da jede Frau eine potentielle Gebärmaschine ist, sind Lesben „doppelt schlimm“, denn die verweigern sich ja auch noch den Männern. Viele Eltern sprechen nach dem Coming-Out ihrer Tochter das aus, was viele andere Menschen denken: “Was ist mit Enkelkindern?” Lesbisch oder schwul zu sein bedeutet in der Vorstellung vieler Eltern und zum Teil ja auch der Vorstellung der Gesellschaft und des deutschen Gesetzgebers, auch keine Kinder in die Welt zu setzen.

Viele Frauen wollen ein Baby und sind Lesben und lassen sich befruchten. Wenn sie dann noch eine Partnerin haben und das gemeinsame Kind zusammen groß ziehen wollen, haben sie Glück. Seit 2005 können gleichgeschlechtlichen Paaren ein Stiefkind adoptieren. Die Vorstellung, dass Frauen Kinder gemeinsam groß ziehen, lässt es vielen Menschen weniger kalt den Rücken herunterlaufen, als dies bei zwei Männern der Fall ist. Sicher kann es auch Stiefkindadoptionen zwischen Männern geben, aber das dürfte die Ausnahme bleiben.

Bisexuelle sind weniger betroffen; sie können in der Vorstellung der eigenen Eltern und der Mehrheitsgesellschaft noch Kinder in die Welt setzen und die „richtige“ Entscheidung treffen. Generell werden in der existierenden Debatte Bisexuelle selten mitgenannt und nicht wahrgenommen. Es scheint so, als ob die Mehrheit der Gesellschaft Bisexualität als Sexualpraktik wahrnimmt: Da sind Menschen, die haben ab und an mal was mit dem gleichen Geschlecht; als alleinstehende Sexualität. Ähnlich wie Tantra oder SM gibts ja die Bisexuellen, liest man in Foren, wenn es auf das Thema kommt. Dadurch dass Bisexuelle sich hinter ihrer heterosexuellen Seite verstecken können und auch tun, wird ihre homosexuelle Seite weniger stark wahrgenommen und polarisiert. Kritisch wird es nur, wenn herauskommt, dass ein Partner in einer heterosexuellen Beziehung einen Partner mit dem gleichen Geschlecht betrogen hat; dann wird der- oder diejenige oft schnell als schwul oder lesbisch abgestempelt. Da aber bisexuelle Menschen eine Heterobeziehung führen und Babys in die Welt setzen können, sind sie ja keine Bedrohung für die biologistische Weltsicht. Ist bissel pervers, aber die lassen ja die Kirche im Dorf und die Schlange im Paradies… Wenn ein bisexueller Mensch mit dem gleichgeschlechtlichen Partner lebt, wird dies dann als homosexuell wahrgenommen.

Dazu kommt: Patchworkfamilien oder alleinerziehende Mütter sind schon lange Realität, aber in der Vorstellung vieler dieser Debattenführer nicht. Da steht Mutti noch am Herd, hat drei bis sieben Kinder und kocht für Papi, bis er nach Hause kommt; alles andere ist wahrscheinlich eine Rabenmutter, ein bemitleidenswerter Mensch oder schlicht asozial. Was wie aus den 50er- oder 70er-Jahren zu sein scheint, ist heute noch Realität in vielen Köpfen, vor allem männlicher, und diese haben dann auch die bekannte „Krise der Männlichkeit“. Das behaupten dann die Medienblätter und genau diese Männer, die Angst haben, ihre Privilegien verlieren – und schimpfen gegen Schwule und emanzipierte Frauen, wie Herr Matussek. Ab und an verläuft sich dann auch eine Frau in die Debatte mit einen Frauenbild, was für sie persönlich ja wunderbar sein kann – aber ist es erstrebenswert für andere Frauen? Birgit Kelle war es bei der Maischberger. Diese Frau ist aber leider nicht alleine, sondern eine Stellvertreterin von vielen Frauen in der Gesellschaft, die sich zwischen Herd, Biologismus, Religiosität und Konservativismus erfolgreich bewegen und verstecken. Sie ist ein Teil der Angst, der tiefen Angst, die auch tausende von Kommentator_innen in den Foren antreibt und immer wieder dieselben Argumente abspulen lässt. Ich habe das Gefühl, dass die Debatte zur Zeit nur ein Anfang ist, und dass Biologismus und Religion sich wunderbar ergänzen.

Da hilft nur eins: aufklären. Denn die modernen religiösen Konservativen warten nur darauf, dass ihre Weltvorstellung von der Wissenschaft untermauert wird und sie sich mit ihrem Weltbild immer sicher fühlen können.

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